Wenn es knallt, gehen oft wichtige Details unter. Am 19. März wurde die notrechtlich organisierte Übernahme der Credit Suisse durch die UBS verkündet. Es war ein Paukenschlag, wie ihn der Finanzplatz Schweiz seit 2008 nicht mehr erlebt hat. Zu Recht wird seither viel über die gescheiterte Too-big-to-fail-Regulierung diskutiert. Ein Aspekt wurde jedoch kaum thematisiert und bisher nur in einem Medienbericht aufgenommen: Der Bundesrat hat via Notrecht zentrale Prinzipien der Schweizer Geldpolitik ausgehebelt.

Schweizerische Nationalbank SNB

In der Notverordnung vom 16. März ist ein klarer Bruch mit der Unabhängigkeit der SNB zu erkennen. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Neu sagt der Bundesrat der SNB, wo’s langgeht

So ist etwa an einer Stelle der Notverordnung vom 16. März ein klarer Bruch mit der Unabhängigkeit der SNB zu erkennen. Dem Bundesrat wird nämlich neu ein neues Weisungsrecht gegenüber der SNB eingeräumt: «Der Bundesrat bestimmt die Höhe der von der Nationalbank maximal auszahlbaren zusätzlichen Liquiditätshilfe-Darlehen.»

Das steht in einem offensichtlichen Widerspruch zu jenem Artikel im Nationalbankgesetz (NBG), der die verfassungsmässig garantierte Unabhängigkeit der SNB konkretisiert: «Bei der Wahrnehmung der geld- und währungspolitischen Aufgaben nach Artikel 5 Absätze 1 und 2 dürfen die Nationalbank und die Mitglieder ihrer Organe weder vom Bundesrat noch von der Bundesversammlung oder von anderen Stellen Weisungen einholen oder entgegennehmen.»

Wem die Unabhängigkeit einer Zentralbank nicht so wichtig ist, könnte hier noch etwas abwiegeln. Geht es doch «nur» um die Festlegung einer Limite. Doch wo Rauch ist, ist meist auch Feuer. Die der SNB vom Bundesrat oktroyierte Limite gilt nämlich für die neuen «zusätzlichen Liquiditätshilfe-Darlehen» (Emergency Liquidity Assistance Plus, ELA+) – und hinter diesem Konzept verbirgt sich eine Zäsur in der Schweizer Geldpolitik.

Gesetzlich verlangte Kreditsicherheiten fehlen

ELA+ wurde als neues SNB-Instrument vom Bundesrat per Notrecht aus der Taufe gehoben. Interessant ist, dass die Notverordnung nur die neue Weisungsbefugnis des Bundesrats sowie ein «Konkursprivileg» umschreibt. Der zentrale Punkt bleibt in den neuen rechtlichen Grundlagen unerwähnt. ELA+ zeichnet sich nämlich durch eine Absenz von Kreditsicherheiten aus. Diese wichtige Information findet sich versteckt auf Seite 4 des erläuternden Berichts.

Der Bundesrat kann somit nicht nur über die Höhe von ELA+ bestimmen. Er «erlaubt» der SNB auch, bei diesem neuen Instrument auf Sicherheiten zu verzichten. Wiederum wird eine zentrale Bestimmung im NBG mit Notrecht ausgehebelt. Denn die SNB ist gesetzlich dazu verpflichtet, Kredite an Banken nur gegen «ausreichende Sicherheiten» zu gewähren; in den «Richtlinien geldpolitisches Instrumentarium» der SNB wird diese Bestimmung noch in Bezug auf ausserordentliche Hilfen konkretisiert: «Die Liquiditätshilfe muss jederzeit vollständig durch ausreichende Sicherheiten gedeckt sein.»

An jenem geschichtsträchtigen 19. März hat man versucht, diesen heiklen Punkt zu verwischen. Die Wortregelung war gewieft gewählt. So hiess es, man gewähre «mit einem Konkursprivileg gesicherte Liquiditäts-Darlehen». Doch dieses Privileg ist nicht der Rede wert, es bietet schlicht keine Sicherheit (vgl. Box am Ende dieses Beitrags). Überhaupt zeichnet sich eine Kreditsicherheit im Kern dadurch aus, dass sie eben nicht vom Konkurs des Gläubigers betroffen ist (z.B. eine Immobilie bei einer Hypothek) – ein Konkursprivileg als Sicherheit zu bezeichnen fällt in die Kategorie «Orwell’scher Neusprech».

Monetarisierung von privaten Verlusten

Das Fehlen von Sicherheiten für die neuen Liquiditäts-Darlehen der SNB ist denn auch der eigentliche Tabubruch. Hier geht es nicht einfach um eine Limite, die der Bundesrat der SNB vorschreibt, sondern um die Essenz der geldpolitischen Rahmenbedingungen. Diese wurden einst aus guten Gründen so gesetzt. Viel spricht dafür, dass eine Zentralbank privaten Banken nur gegen ausreichende Sicherheiten Geld leihen soll.

So hat eine Zentralbank zwar jederzeit die Liquiditätsversorgung sicherzustellen (sogenannte «Lender of last resort»-Funktion), aber sie darf dabei nicht ein umfassendes Gegenparteirisiko gegenüber einer einzelnen Bank eingehen. Tut sie das trotzdem, ist die Gefahr gross, dass sie private Verluste monetarisiert, da in einem Konkursfall ihre vergebenen Kredite abgeschrieben werden müssen.

Aus ordnungspolitischer und volkswirtschaftlicher Sicht ist deshalb klar: Ist eine Bank derart in Schieflage, dass sie keine Sicherheiten mehr vorlegen kann, sind die Möglichkeiten einer unabhängigen Zentralbank erschöpft. Ihr fehlt in einem solchen Fall die demokratische Legitimation, weitere Kredite zu sprechen. Stattdessen müssen Regierung und Parlament einspringen, um das entsprechende Institut mit fiskalischen Mitteln zu stützen. Nur so können allfällige Kosten später transparent über das Staatsbudget abgerechnet werden.

Natürlich ist es generell falsch, private Verluste zu sozialisieren. Wenn jedoch eine Situation wie jüngst auftritt und offenbar kein Weg an einem Staatseingriff vorbeiführt, dann sollte wenigstens der Fehler nicht noch verschlimmert werden. Die Unabhängigkeit der SNB zu untergraben, um Bankenrettungen über die Notenpresse zu finanzieren, ist eine denkbar schlechte Idee. Scheitert die Stabilisierung des betroffenen Instituts, werden die Kosten monetarisiert, und es droht eine entsprechende Geldentwertung – eine extrem ungerechte und intransparente Art, private Verluste auf die Gesellschaft abzuwälzen.

Nun muss das Parlament Rückgrat zeigen

Das sind keine abstrakten Überlegungen aus dem ökonomischen Elfenbeinturm, sondern man ist sich dieser Problematik in Bern bewusst. Deshalb hat der Bund vor einem Jahr das Instrument des Public Liquidity Backstops (PLB) aufgegleist. Das sind jene ausserordentlichen Liquiditäts-Darlehen der SNB, bei denen der Bund eine Ausfallgarantie gibt. Hiermit lassen sich allfällige Verluste ordnungspolitisch korrekt über das Staatsbudget allozieren.

In den Tagen vor dem 19. März schien jedoch alles sehr schnell gehen zu müssen. Zwar wurde der noch nicht eingeführte PLB notrechtlich in Kraft gesetzt, aber das reichte offenbar nicht. Deshalb musste zusätzlich ELA+ geschaffen werden. Derzeit hat der Bundesrat hier die Limite auf 100 Mrd. Franken gesetzt. Im schlimmsten Fall würde die SNB also private Verluste in der Höhe von knapp einem Siebtel des Schweizer Bruttoinlandprodukts monetarisieren.

Noch kann das Parlament diesem Tabubruch den demokratischen Ritterschlag verweigern. Um die Unabhängigkeit der SNB wiederherzustellen und den zentralen Prinzipien der Schweizer Geldpolitik Geltung zu verschaffen, müssen die Bestimmungen zu ELA+ aufgehoben werden. Dieser Schritt soll mit einer entsprechenden Erhöhung des PLB kompensiert werden, um die Finanzstabilität weiterhin zu gewährleisten. Die Ausfallgarantie des Bundes wird entsprechend steigen.  Denn wird auf eine versteckte Finanzierung durch die SNB über ELA+ verzichtet, gibt die Ausfallgarantie das wahre Risiko für den Bürger wieder.

Es ist zu hoffen, dass diese Transparenz nicht abschreckend wirkt. Denn nur wenn die Politik mit der Abschaffung von ELA+ und der Erhöhung des PLB Farbe bekennt, kann die verfassungsmässig geforderte Trennung zwischen Fiskal- und Geldpolitik wiederhergestellt werden. Das Parlament muss jetzt Rückgrat zeigen. Es geht um viel. Auf dem Spiel steht nicht weniger als eine unabhängige Zentralbank und damit das Vertrauen in den Schweizer Franken.        

Das Konkursprivileg – für die politische PR wertvoll, aus ökonomischer Sicht wertlos

Um die «Sicherheit» des in der Notverordnung eingeräumten Konkursprivilegs einschätzen zu können, muss der Fall der Fälle Schritt für Schritt durchgegangen werden:

  • Schlittert eine Bank in einen Konkurs, werden noch vor Eröffnung des Konkursverfahrens aus den verfügbaren liquiden Mitteln alle privilegierten Bankeinlagen bis 100’000 Franken ausbezahlt. In der Praxis werden jedoch kaum mehr liquide Mittel, also Bargeld und Guthaben bei der Zentralbank, zur Verfügung stehen. Denn in so einer Situation dürfte eine Bank bereits im Vorfeld alle liquiden Mittel aufgebraucht haben.
  • In einem nächsten Schritt kommt der Verein Esisuisse als Träger der gesetzlichen Einlagensicherung zum Zug. Hier stehen ab diesem Jahr bis 8 Mrd. Franken zur Verfügung. Die durch diese Summe nicht gedeckten privilegierten Einlagen fallen in die Konkursmasse.
  • Im anschliessenden Konkursverfahren werden die Forderungen in 3 Konkursklassen eingeteilt:
    • In der 1. Konkursklasse befinden sich unter anderem Lohn- und Pensionskassenforderungen von Arbeitnehmern. Diese Forderungen werden zuerst bedient.
    • In der 2. Konkursklasse befinden sich dann die Forderungen der Sozialversicherungen, die privilegierten Einlagen, die nicht durch die Einlagensicherung gedeckt sind, und die Vorsorgeeinlagen wie die Säule 3a (bis 100’000 Franken). Erst nach diesen Positionen werden die neuen, notrechtlich geschaffenen Instrumente bedient. Zuerst die offenen Forderungen aus ELA+ und dann jene aus dem PLB.
    • In die 3. Konkursklasse fallen schliesslich die nicht privilegierten Forderungen nach ihrem Rang, d.h. vorrangige Forderungen werden vor nachrangigen bedient.

Die Darlehen der SNB, die im Rahmen von ELA+ gesprochen wurden, sind also erst spät an der Reihe. Zudem ist zu beachten, dass bis zum Bezug von ELA+ eine qualitative Verschlechterung der Vermögenswerte auf der Bilanz einer Bank stattgefunden hat. Es ist ja eine zusätzliche ausserordentliche Liquiditätshilfe, die nur zum Zug kommt, wenn eine Bank bereits enorm unter Stress steht. Bevor eine Bank zu ELA+ greift, wird sie auf verschiedene Arten versuchen, zu Liquidität zu gelangen:

Als erstes wird eine Bank liquide Vermögenswerte veräussern. Als zweites wird sie hochqualitative Vermögenswerte für die Engpassfinanzierungsfazilität (EFF) der SNB nutzen. Als drittes wird sie die «normale» ausserordentliche Liquiditätshilfe (ELA) der SNB in Anspruch nehmen, bei der «ausreichende» Sicherheiten hinterlegt werden müssen. Erst wenn keine ausreichenden Sicherheiten mehr vorhanden sind, kommen in der vierten und fünften Reihe die ungesicherten Instrumente ELA+ und PLB zum Zug. Die Vermögenswerte, die dann noch auf der Bilanz sind, sind konsequenterweise illiquide und von verhältnismässig schlechter Qualität – wäre dem nicht so, würde ja das Instrument ELA bereits reichen.