Das Diem Netzwerk bildet die Technologie-Komponente des Projekts und ist neben der Reserve das zweite zentrale Element von Diem. Wie bei der Reserve herrscht auch beim Design des Netzwerkes noch Klärungsbedarf. Detaillierte Ausführungen liegen mehr als ein Jahr zurück, und aktuelle Information werfen mehr Fragen auf als sie klären.

Smart Contracts mit eingebauten Sicherungen

Die wichtigsten Eckpunkte des Diem Netzwerks wurden zuletzt im April 2020 mit dem White Paper 2.0 ausführlich behandelt. Namentlich sind das die Programmiersprache «Move», die Datenstruktur der Blockchain und der Validierungsmechanismus der Transaktionen  (Libra Association 2020a):

  • Move wurde eigens für die Diem-Blockchain entwickelt, um das Risiko von Programmierfehlern oder betrügerischen Programmen in Verbindung mit Smart Contracts zu verringern (vgl. Teil 3 der Blogserie). Zu solchen unerwünschten Effekten ist beispielsweise in der Vergangenheit bei der Verwendung von Solidity, einer Programmiersprache für das Ethereum-Netzwerk, wiederholt gekommen. Die mit Move programmierten Smart Contracts sollen demnach per Design über Schutzmechanismen verfügen, die deren Verwendung und Ausführungen sicherer und kontrollierbarer machen (Diem Engineering Team 2021; Li und He 2020; Medium 2019; SECBIT 2019). Ob am Ende die neue Programmiersprache hält, was sie verspricht, muss sich erst noch weisen.
  • Auch bei der Blockchain-Technologie will Diem Neuland betreten. Obwohl sich Diem offensichtlich von der Technologie prominenter Blockchain-Projekte wie Bitcoin und Ethereum inspirieren liess, kommt das Diem Netzwerk in einem anderen Kleid daher. Im Unterschied zu Bitcoin oder Ethereum will Diem beispielsweise beim Abspeichern der Transaktionsdaten auf eine sequenzielle «Block-Logik» verzichten. So sollen historische Transaktionsdaten schneller und effizienter verifiziert werden können (Amsden et al. 2020; Libra Association 2020a). Die Schnelligkeit und Effizienz geht dabei auf Kosten des Speicherplatzes (Yang 2019). Auch hier wird erst die Praxis zeigen, ob der neue Ansatz sich wirklich als überlegen herausstellen wird.
  • Drittes Kernstück des Diem Netzwerks ist der Validierungsmechanismus. Statt über ein rechen- und energieintensives «Mining» (proof of work) sollen bei Diem die Transaktionen in einem vordefinierten Prozess der Gründungsteilnehmer verifiziert werden (proof of authority). Die Validierung soll damit sowohl schneller als auch energieeffizienter funktionieren (Libra Association 2020a).[1] Erste Erfahrungen mit dem Testnetz deuten aber darauf hin, dass man noch weit von den versprochenen 1000 Transaktionen pro Sekunde entfernt ist (CoinMarketCap 2021b).

Die Transaktions-Validierung wird also exklusiv von den Mitgliedern der Diem Association vorgenommen. Damit ist das Diem Netzwerk kein öffentliches Netzwerk. Die ursprünglich geplante Öffnung des Netzes analog zur heutigen Architektur von Bitcoin und Ethereum wurde aufgegeben (Macknight 2021). Als Grund wurden die regulatorischen Bedenken angegeben; es wäre mit einem erhöhten Risiko zum Kontrollverlust über das Netzwerk verbunden gewesen (OMFIF 2021).

Mit der geschlossenen Architektur stösst Diem gerade bei Bitcoin- und Ethereum-Anhängern auf wenig Gegenliebe. (Thomas Peham, Unsplash)

Aufkeimende Zweifel an der Dezentralität

Mit der geschlossenen Architektur stösst Diem gerade bei Bitcoin- und Ethereum-Anhängern auf wenig Gegenliebe. Das Diem Netzwerk könnte derweil noch weitaus zentraler organisiert sein als bisher angenommen. In der Pressemitteilung zum Umzug Diems in die USA wurde die Technologie-Komponente zwar nur am Rande erwähnt, aber diese Erwähnung hatte es in sich.

So wurde kommuniziert, dass das Diem Payment Network (DPN) von Diem Networks US betrieben wird (Diem Association 2021).[2] Das Wort «Betrieb» liefert Raum für Spekulation, wonach die Verantwortung und Kontrolle über das DPN trotz Blockchain-Technologie bei einer zentralen Instanz liegen könnte. Dass dem Diem-Projekt nahestehende Personen bereits im Februar dieses Jahres die Pilotversion Diems mit Paypal verglichen haben, heizen die Spekulationen nun weiter an (The Block 2021). Eine Anfrage bei Diem zur Klärung der Unklarheiten ist bis dato unbeantwortet geblieben.

Wenn Diem ein privates und zentralisiertes Netzwerk betreiben sollte, könnte sich das als Stolperstein für das Projekt herausstellen. Zwar hätte sich Diem dann vom Schreckensgespenst einer neuen Währung zu einem gewissermassen traditionellen Zahlungsnetzwerk gewandelt, was Regulatoren sicher beruhigte. Aber es ist ungewiss, ob die breite Bevölkerung Vertrauen gerade in Bezug auf den Schutz der Privatsphäre fassen würde, wenn hinter Diem ein von Facebook kontrolliertes Netzwerk stünde.

Einem allfälligen Misstrauen potenzieller Kunden dürfte am Ende hingegen die Bequemlichkeit entgegenstehen. Dann nämlich, wenn den Unternehmen hinter Diem eine nahtlose Integration des neuen Zahlungsnetzwerks in ihre bestehenden Produkte gelingt. Beispiele für eine solche Verschmelzung von Zahlungsdiensten mit bestehenden digitalen Angeboten bieten die Anbieter in China, allen voran Wechat mit Wechat Pay.[3] In dieser Integration liegt denn auch weiterhin das Disruptionspotenzial von Diem, auf das im nächsten Teil der Blogserie näher eingegangen wird.

Übersicht der Blogserie: «Diem, das globale Finanzsystem und die Schweiz»

 

  1. Was bisher geschah
  2. Eine Einordnung von Diem in die internationale Finanzarchitektur
  3. Diem Reserve – die Banken-Komponente
  4. Diem Netzwerk – die Technologie-Komponente
  5. Was könnte Diem noch alles bewirken
  6. Fazit und Literaturverzeichnis 
[1] Die prominentesten Blockchain-Projekte Bitcoin und Ethereum validieren Transaktionen gegenwärtig mit einem Proof-of-Work-Algorithmus. Insbesondere der damit verbundene extrem hohe Energieverbrauch sorgt immer wieder für Kritik – eine Überweisung mit Bitcoin braucht etwa fünf Mal so viel Energie wie der Durchschnittsschweizer im Monat verbraucht (NZZ 2021a). Deswegen planen die Macher von Ethereum seit langem, den Validierungsmechanismus auf einen Proof-of-Stake-Algorithmus umzustellen. Der Übergang hat sich aber aufgrund technischer Problemen wiederholt verzögert (Beekhuizen 2021; Fortune 2021).
[2] Ein Gesuch als Gelddienstleistungsgeschäft (Money Services Business) soll demnächst von Diem Networks US bei der bei der amerikanischen Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN) eingereicht werden (Diem Association 2021).
[3] Wechat hat sich in China zu einer Art zweiten Betriebssystem gemausert. Benutzer können in der App telefonieren, ein Taxi bestellen, das Abendessen mit Freunden abrechnen, Arzttermine vereinbaren oder Visitenkarten austauschen. In anderen Worten: Wechat bietet eine ganze Bandbreite an integrierten Dienstleistungen auf dem Smartphone an (The Economist 2016). Ein Beispiel aus der Blockchain-Welt für eine solche Verschmelzung, wenn auch in weitaus kleinerem Rahmen, ist Brave, ein Open-Source-Browser. Auf Brave können Zahlungen zwischen Medienschaffenden, Werbeschaltenden und Nutzern gemessen an der generierten Aufmerksamkeit ohne Medienbruch in der Kryptowährung Basic Attention Token (BAT) abgewickelt werden (Brave Software 2021).