Das agrarpolitische Regulierungsniveau und die damit legitimierte, in vielen Kantonen überbordende Bürokratie haben für Steuerzahler und Landwirte Kosten zur Folge. Die aufgewendeten Steuergelder werden von den Kantonen aber unterschiedlich effizient eingesetzt (vgl. Teil 2 der Serie – Dümmler, Bonato und Hug Alonso 2021). Während der wie bereits im kantonalen Agrarindex (vgl. Dümmler und Bonato 2020) führende Kanton St. Gallen nur vergleichsweise geringe Mittel benötigt, sind das Wallis, Genf, das Tessin, Zürich und Graubünden am anderen Ende der Skala zu finden.

Was sind Erklärungsansätze für die teilweise grossen Unterschiede pro Kanton – trotz weitgehend harmonisierter Rechnungslegung? Teilweise sind es Abgrenzungsprobleme innerhalb der kantonalen Verwaltung, beispielsweise

  • wird die landwirtschaftliche Beratung oft zusammen mit Bildungsangeboten kombiniert, wobei für die Bildung eigentlich eine andere Sachgruppe zu bebuchen wäre. Ausserdem delegieren einzelne Kantone (mit einer Kostenabgeltung) die Beratung ganz oder teilweise Dritten, insbesondere den kantonalen Bauernverbänden, so dass der eigene, im kantonalen Budget ausgewiesene Personalaufwand tiefer ausfällt.
  • wo die Aufwendungen für die Kontrolle der Primärproduktion (beim Landwirt) zu verbuchen ist. Einige Kantone verrechnen dies (korrekterweise) dem Landwirtschaftsbudget, andere bebuchen offenbar die Ressorts Veterinär oder Umwelt. Auch hier spielt es eine Rolle, ob die Aufträge ggf. extern vergeben werden.
  • wenn die Ertragswert- und Steuerschätzungen für Landwirtschaftsbetriebe, die teilweise durch die Steuerämter vorgenommen werden und intern nicht zulasten der Landwirtschaft gehen.
  • wenn Landwirtschaftsgüter im kantonalen Besitz stehen, die Liegenschaftenverwaltung aber dem Agrarbudget belastet wird.

Ein relevanter Unterschied ist auch, ob der einzelne Kanton viele der Aufgaben selbst wahrnimmt oder an seine Gemeinden delegiert. Ein Teil des guten Abschneidens des Kantons St. Gallen kann damit erklärt werden, dass viele landwirtschaftliche Vollzugsaufgaben bei den Gemeinden liegen.

Doch in vielen Gemeinden bereitet die funktionale Gliederung der Ausgaben Probleme. Die Aufwendungen für die Landwirtschaft könnten zulasten anderer Bereiche zu tief ausgewiesen und an den Kanton rapportiert worden sein. Trotz dieser Relativierungen können die gemachten Berechnungen ein Hinweis sein auf Kantone, die die Vollzugsaufgaben der Agrarpolitik effizienter wahrnehmen als andere; ein Faktor von zehn zwischen den Kosten im Wallis und in St. Gallen kann nicht allein durch Abgrenzungsprobleme erklärt werden.

Profiteure der Regulierung

Doch die Agrarregulierung (vgl. Teil 1 der Serie, Dümmler und Hug Alonso 2021) – als ein Treiber der Vollzugskosten auf Eben der Kantone und Gemeinden – dürfte aus politökonomischen Gründen kaum abnehmen. Denn erstens profitieren verschiedene Akteure des Agrarkomplexes von den bestehenden Regulierungen. So beispielsweise viele Händler agrarischer Produktionsmittel und die Abnehmer unverarbeiteter Lebensmittel, z.B. aufgrund des Schutzes vor Importen.

Zweitens ist die generell gestiegene Anspruchshaltung an den Staat zu nennen, der immer mehr Teile des wirtschaftlichen und sozialen Lebens regelt, um eine wie auch immer definierte «Gerechtigkeit» zu schaffen. So hält beispielsweise Art. 104 Abs. 3 lit. a der Bundesverfassung fest, dass die «Erzielung eines angemessenen Entgelts [zugunsten der Landwirte] für die erbrachten Leistungen» Aufgabe des Bundes ist.

Dem entgegengesetzt wirkt, dass die Schweizer Agrarpolitik in der Öffentlichkeit in einer Intensität diskutiert wird wie selten zuvor. Davon zeugen mehrere Volksinitiativen (z.B. Trinkwasser, Pestizide), die ein wachsendes Unbehagen in (Teilen) der Bevölkerung mit der heutigen Ausgestaltung der Agrarpolitik erkennen lassen. Zu nennen sind insbesondere die Umweltschäden, die auf 7,6 Mrd. Fr. pro Jahr beziffert werden können (vgl. Dümmler und Anthamatten 2020). Wenn sich die Agrarpolitik nicht entsprechend weiterentwickelt, wird es das Volk über eine Initiative ausrichten.

Wenn sich die Agrarpolitik nicht entsprechend weiterentwickelt, wird es das Volk über eine Initiative ausrichten. (Unsplash)

Die Reform der Agrarpolitik sollte mehrgleisig erfolgen, doch oberstes Ziel sollte sein, die unternehmerische Entfaltungsfreiheit des heute überregulierten Schweizer Bauernstandes zu ermöglichen:

  1. Verschlankung der Regulierung und Agrarbürokratie
  • Das aktuelle Regulierungsniveau ist langfristig deutlich zu reduzieren, sie lähmt das bäuerliche Unternehmertum. Innovationen werden entweder erst gar nicht geboren, da die Opportunitätskosten (man verzichtet allenfalls auf Subventionen) zu hoch sind, oder sie werden im Keim erstickt, da den Ideen eine rechtliche Vorschrift im Wege steht. Administrative Entlastung der Bauern von staatlichen Vorschriften mittels Reduktion der Regulierungen um 50% (statt 4000 Seiten Vorschriften neu 2000 Seiten). Das agrarpolitische Gesetzesinstrumentarium ist an Zielgrössen, statt an detaillierten Vorgaben für die Prozesse auszurichten. Es sollte den Landwirten überlassen sein, wie sie die Ziele erreichen.
  • Der gesamte Bereich der Strukturverbesserungen sollte komplett überarbeitet und vor allem vereinfacht werden. Die Landwirte und Vollzugsbehörden sind heute mit Dutzenden detailliert ausgeführten Massnahmen konfrontiert, die eine Umsetzung unnötig verkomplizieren.
  • Private Initiativen sollten gegenüber einem Staatseingriff Vorrang haben. Beispielsweise regeln heute eine Vielzahl an Labels und Spezialprogrammen den Anbau und die Produktion von Lebensmitteln, gleichzeitig schreibt der ökologische Leistungsnachweis (ÖLN) detailliert vor, was für den Erhalt der Zahlungen zu leisten ist. Dies setzt die Landwirte unnötigen Doppelspurigkeiten, teilweise aber auch Widersprüchen aus.
  • Aufgrund der regulatorischen Verschlankung kann auch die Agrarverwaltung in Bund und Kantonen im Umfang von 50% der Vollzeitstellen reduziert werden. Die Reduktion der Vorschriften vermindert auch den Verwaltungsaufwand (Kontrollgänge, Administration etc.). Kaum eine andere Branche wird schweizweit von einem derart gut dotierten Beamtenapparat administriert.
  1. Abschaffung von finanziellen Fehlallokationen und widersprüchlichem Einsatz von Steuergeldern

Kurzfristig sollten die am meisten Anstoss erweckenden Subventionen (und ihre zugrundeliegende rechtliche Basis) abgeschafft werden:

  • Die Absatz- und Exportförderung (531 Mio. Fr.), darunter der Einsatz von Steuergeldern für den Verkauf von Zierpflanzen.
  • Die Subventionen des Bundesamtes für Landwirtschaft für den Anbau von Zuckerrüben (33 Mio. Fr.) und Tabak (14 Mio. Fr.), sowie die Herstellung von Wein (15,7 Mio. Fr.). Denn gleichzeitig fährt das Bundesamt für Gesundheit teure Kampagnen gegen Übergewicht, Alkoholkonsum und Rauchen. Dieser administrative Zielkonflikt zulasten des Steuerzahlers ist zu lösen.
  1. Evaluation des Mitteleinsatzes und Abbau der Zahlungen

Für die heute geltenden Zahlungen an Akteure des Agrarkomplexes mussten bei der letzten grundlegenden Reform teilweise neue Begriffe kreiert werden, um zumindest sprachlich den Eindruck zu erwecken, mit den Steuerfranken volkswirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Die Realität sieht anders aus.

  • Die Wirkung der ökologisch begründeten Zahlungen (840 Mio. Fr.) ist kritisch und von unabhängiger Stelle zu evaluieren. Vorhandene Untersuchungen bemängeln die Effektivität dieser Instrumente (Bafu und BLW 2016).
  • Zu untersuchen sind die Bewirtschaftungsauflagen und Perimeter bei Schutzgebieten im Sömmerungsgebiet. Dem grossen administrativen Aufwand in der Erhebung und dem Vollzug steht in der Regel ein geringerer Nutzen gegenüber.
  • Die Landschaftsqualitätsbeiträge könnten gestrichen und – zumindest teilweise – in die Biodiversitätsförderflächen integriert werden.
  • Ebenso könnten die Ressourceneffizienzbeiträge inkl. des damit verbundenen administrativen Überbaus gestrichen werden. Die Überschneidungen mit anderen Massnahmen – insbesondere auf kantonaler Ebene – sind hoch, das Beitragsvolumen im Verhältnis zu den Aufwendungen niedrig. Ähnliches gilt für den Beitrag für extensive Produktion von Getreide, Sonnenblumen, Eiweisserbsen, Ackerbohnen, Lupinen und Raps (Extenso) sowie den Beitrag für graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF).

Langfristig ist – im Gleichschritt mit dem Abbau der Regulation und der Agrarbürokratie – die mit Steuermitteln finanzierte Unterstützung des gesamten Agrarkomplexes auf den europäischen Durchschnitt zu reduzieren. Denn der bisherige Ansatz, auf Herausforderungen mit noch mehr Regulation und Geld zu reagieren, löst Probleme wie das Bauernhofsterben nicht; es braucht vielmehr eine Agrarpolitik, die marktwirtschaftliche und unternehmerische Perspektiven für den Berufsstand (wieder) ermöglicht (vgl. Dümmler und Roten 2018).