Die neuste Publikation «Digitale Direkte Demokratie» hat breite Resonanz erzeugt. Insbesondere auf den sozialen Medien wurde intensiv debattiert. Nachfolgend einige Antworten auf häufig gestellte Fragen.

Ist die Digitalisierung der direkten Demokratie keine Zwängerei?

Die Digitalisierung ist eine unumkehrbare Realität. Branchen wie die Medienindustrie oder der Handel mussten dies schmerzlich erfahren. Eher früher als später wird die Digitalisierung auch voll auf die direkte Demokratie durchschlagen. Dies, nachdem schon heute alle Phasen der direktdemokratischen Entscheidungsfindung durch elektronische Medien geprägt sind. Unterschriften werden mithilfe von Internetplattformen gesammelt, über Social Media werden Zeitungsartikel oder Argumente im Meinungsbildungsprozess geteilt, und Abstimmungen auf elektronischem Weg finden seit geraumer Zeit in begrenztem Rahmen statt. Die Frage, ob man die Digitalisierung in politischen Prozessen gutheisst oder nicht, ist somit müssig. Sie lässt sich nicht aufhalten, sondern nur gestalten. Seit den Anfängen beschäftigt sich Avenir Suisse mit der Weiterentwicklung der Demokratie und hat zu ganz unterschiedlichen Themen publiziert: Passives Wahlrecht für aktive Ausländer, der lange Weg zum Bürgerdienst oder die Privatsphäre und das Netz. Die Publikation «Digitale Direkte Demokratie» diskutiert die Nutzung des technischen Fortschritts, um die direkte Demokratie weiterzuentwickeln. Sie fokussiert auf den Mehrwert, der durch die Digitalisierung geschaffen wird und setzt auf rationale Argumente.

Werden die Risiken genügend bedacht?

Die direkte Demokratie macht einen wichtigen Teil des Schweizer Selbstverständnisses aus. Die Akzeptanz in das Ergebnis einer Abstimmung und somit das Vertrauen in die Prozesse ist grundlegend. Daher dürfen die technischen Risiken nicht vernachlässigt werden. Aber Anwendungswissen ist nicht mit Informatikkenntnissen, geschweige denn mit Wissen über Kryptografie gleichzusetzen. In unserer Studie gibt es daher eine wissenschaftliche Analyse des Berner Informatik-Professors Eric Dubuis, der das Research Institute for Security in the Information Society leitet und der seinen Forschungsschwerpunkt auf verifizierbare E-Voting-Systeme legt.

Laut Dubuis stützen sich E-Voting-Systeme mit individueller und universeller Verifikation auf eine möglichst geringe Anzahl von Vertrauensannahmen ab, die nicht verletzt werden dürfen:

  1. Mischen, Entschlüsseln und weitere kritische Operationen müssen von unabhängigen Stufen durchgeführt werden. Mindestens eine der Stufen darf nicht unter die Kontrolle eines Angreifers fallen.
  2. Der Druck der Stimmrechtsausweise mit den Codes ist sicher.
  3. Die Geräte der Stimmenden dürfen über keinen Seitenkanal Information an Dritte weitergeben. Aber: Es wird nicht angenommen, dass sie frei von Schadsoftware sind.

Angriffe können zwar nicht verhindert, aber entdeckt werden. Nutzen die Kantone unterschiedliche Systeme, erschwert dies zusätzlich flächendeckende Manipulation.

Kritiker prangern regelmässig an, dass die technischen und kryptografischen Details nur von einer Minderheit der Bevölkerung wirklich verstanden werden. Aber in vielen Bereichen des modernen Lebens verlassen wir uns ebenfalls auf Expertenwissen – sei es im Flugzeug oder bei militärischen Waffensystemen. In der digitalen direkten Demokratie sind Plausibilisierungen basierend auf Nachwahlbefragungen und Erfahrungswerten immerhin wesentlich breiter zugänglich und könnten helfen, eine allfällige Vertrauenslücke zu schliessen. Auch hier gilt: Statt eine Technologie zu verbieten, soll sie so sicher wie möglich nutzenstiftend angewandt werden. Auch der Einführung der brieflichen Stimmabgabe sind jahrzehntelange Diskussionen vorausgegangen.

Die Zukunft ist digital – auch in der direkten Demokratie. (Samuel Zeller, unsplash)

Weshalb E-Voting, wenn sogar der Bund einen Marschhalt einlegt?

Eine Studie von E-Government Schweiz hat gezeigt, dass 68% der Befragten E-Voting wünscht. Und ein grosser Teil der Stimmbevölkerung nutzt E-Voting als Abstimmungskanal, wenn es zur Verfügung steht. Zudem hat der Ergebnisbericht der Vernehmlassung über die Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte ergeben, dass die überwiegende Mehrheit der Kantone sowie die Auslandschweizer-Organisation und die Organisationen zur Vertretung von Menschen mit Behinderungen die Vorlage unterstützen. So gesehen ist der derzeitige politische Entscheidungsstillstand anachronistisch.

Die Nicht-Verfügbarkeit der elektronischen Stimmabgabe könnte sich mittelfristig negativ auf die Stimmbeteiligung besonders der «Generation Z» auswirken, die nach und nach die Volljährigkeit erreicht. Diese prospektive Überlegung ist deshalb so zentral, weil oft argumentiert wird, die Einführung von E-Voting habe keinen Einfluss auf die Stimm- und Wahlbeteiligung.

Weshalb fordert Avenir Suisse ein höheres Quorum für E-Collecting?

E-Collecting für Initiativen und Referenden erleichtert und vergünstigt den Prozess des Unterschriftensammelns. Demgegenüber ist die heute übliche, persönliche Unterschriftensammlung ein sehr ressourcenintensives Unterfangen. E-Collecting stärkt also das Volksrecht.

Wie viel Potenzial das elektronische Unterschriftensammeln besitzt, hat ein Beispiel aus den Niederlanden gezeigt: Innert 6 Wochen kamen dort 300’000 Unterschriften zusammen. Verschiedene Experten sprechen sich daher für eine Erhöhung der Unterschriftenzahl aus. Keine Anpassungen vorzunehmen, würde vermutlich einer materiellen Verfassungsänderung gleichkommen.

Mit dem in der Avenir-Suisse-Studie gemachten Vorschlag gehen wir vom Status quo aus: Für das Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden auf herkömmlichem Weg soll es bei den bisherigen Regeln bleiben. Da aber für beide Kanäle ähnliche Bedingungen gelten sollten, schlagen wir für den elektronischen Kanal ein höheres Quorum von 6% vor. Diese Erhöhung schafft eine ähnliche Ausgangslage gegenüber dem analogen Weg (mit 1,9%-Quorum). Zudem liegt der angepeilte Wert deutlich unter den ursprünglichen 7,7% von 1891. Die Initianten würden also vor dem Beginn der Unterschriftensammlung den Kanal wählen.

Im Zuge der Einführung sollten aber relative Quoren in der Verfassung festgeschrieben werden, wie es der Kanton Genf beispielsweise schon heute kennt. Für den herkömmlichen Weg 2% (entspricht in etwa dem heutigen Wert) und für den elektronischen Weg 6%. Damit würde sichergestellt, dass auch bei einer Zu- oder Abnahme der Stimmbevölkerung die gleichen demokratiepolitischen Voraussetzungen gelten. Nach einer Übergangsfrist von mehreren Legislaturen, in denen beide Kanäle genutzt und Erfahrungen mit E-Collecting gesammelt werden, sollten die Auswirkungen von E-Collecting untersucht werden.

Bei der Nutzung neuer Technologien müssen Risiken immer in Relation gestellt werden – sowohl zu den Chancen als auch zu den Alternativen. Dass diese nüchterne Abwägung bei der Digitalisierung der Demokratie zu wenig passiert, hat wohl mit den damit verbundenen Emotionen zu tun. Hier setzt die vorliegende Studie an und will gerade angesichts der weit verbreiteten Ängste sowie der dominierenden Kritik an der Digitalisierung der verschiedenen Aspekte der demokratischen Entscheidungsfindung die Chancen auch zur Stärkung unserer direkten Demokratie in den Vordergrund rücken.

Link zur Studie Digitale Direkte Demokratie.