Die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer ist für die Schweiz eine Knacknuss. Etwa, weil das neue Steuerregelwerk keine Rücksicht auf die institutionellen Besonderheiten unseres Landes nimmt oder weil ein wesentliches Element der Standortattraktivität geschwächt wird. Die Politik ist also gefordert. Doch statt eine föderalismustaugliche Umsetzung vorzulegen oder Massnahmen zur Stärkung der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu beschliessen, interessiert in Bern ausschliesslich die Verteilung der – nicht gesicherten – Erträge aus der neuen «Ergänzungssteuer».

Ging es jüngst noch darum, ob dem Bund ein Viertel der Erträge zugestanden werden soll, hat die Obsession um die «gerechte» Verteilung der Einnahmen diese Woche in der nationalrätlichen Wirtschaftskommission (WAK-N) neue Sphären erreicht. Im Gegensatz zum Ständerat will die Kommissionsmehrheit nämlich nicht nur dem Bund einen höheren Anteil an den Einnahmen aus der Ergänzungssteuer (neu 50%) sichern, sondern auch den Kantonsanteil daran auf 400 Franken pro Einwohner begrenzen. Sicher betroffen von dieser Obergrenze wären die Kantone Basel-Stadt und Zug, deren (suggerierte) Mehreinnahmen dadurch auf weniger als die Hälfte schrumpfen würden.

Begründet wird die dreiste Abschöpfung kantonaler Ressourcen und die damit zementierte Zentralisierung durch die Hintertür mit der Sorge um die nationale Kohäsion. Mit Verlaub: Das ist ein Vorwand. Für die wirtschaftlich schwachen (Nehmer-) Kantone wäre es die beste Lösung, wenn alle Einnahmen aus der Ergänzungssteuer bei den Kantonen verbleiben würden, da ihnen indirekt höhere Finanzausgleichszahlungen zukämen. Diese Option steht für die Bundesparlamentarier aber ausser Frage. Und zwar nicht, weil sie sich so sehr um eine öffnende Schere zwischen Tief- und Hochsteuerkantonen sorgen, sondern weil sie zur Finanzierung zusätzlicher Ausgaben mehr Einnahmen benötigen. Da aber die Nehmerkantone auch schlechter fahren, wenn der Bund mehr Geld erhält –warum das so ist, hat die NZZ anschaulich erklärt –, sollen diese bei Laune gehalten werden, indem die Erträge oberhalb der erwähnten Obergrenze an sie umverteilt werden.

Keine Türe öffnen, die besser geschlossen bliebe. (Dima Pechurin, Unsplash)

Frontalangriff auf das etablierte Umverteilungsmodell

Für Zug und Basel-Stadt kommt das vorgeschlagene Modell einem Hohn ihrer Standortbemühungen gleich, denn sie müssten einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen aus der Ergänzungssteuer abgeben. Man kann daraus nur schliessen, dass es der Kommissionsmehrheit an Respekt vor den Bemühungen zur Pflege der kantonalen Standortattraktivität mangelt. Attraktiven Konzernstandorten wird auch in der Schweiz vermehrt mit Neid und Missgunst begegnet. Wer dies als unzulässiges Argument eines – in den Worten von Ruedi Strahm – «konzernnahen» Think-Tanks verunglimpft, seien die Worte Eva Herzogs ans Herz gelegt. Die SP-Ständerätin und Vertreterin Basel-Stadts plädierte in der jüngsten Herbstsession zurecht dafür, möglichst viel Geld bei den Kantonen zu behalten. Denn diese haben auch den grössten Aufwand, um die Firmen bei sich zu behalten.

Damit ist auch das grosse Missverständnis der Mindeststeuer angesprochen: Nur weil kurzfristig mit Mehreinnahmen zu rechnen ist (verlässliche Angaben zum genauen Ausmass gibt es keine), ist sie noch lange kein Geschenk des Himmels. Vielmehr führt sie bei den betroffenen Kantonen zu einem Verlust an Standortattraktivität, der über eine Verbesserung der Rahmenbedingungen kompensiert werden müsste. Ihnen unter dem Vorwand der sich akzentuierenden Disparitäten die Mittel dafür zu kürzen, ist staatspolitisch bedenklich und finanzpolitisch riskant.

Mit der Kombination aus hohem Bundesanteil und Obergrenze öffnet die Kommissionsmehrheit nämlich eine Türe, die besser geschlossen bliebe. Ein Umverteilungssystem, das direkt vom Steuersatz abhängig ist, setzt falsche Anreize. Der alte Finanzausgleich (vor 2008) setzte auf dieses Prinzip und er wurde aus guten Gründen durch ein System ersetzt, dass genau diese Fehlanreize verhindert. Sollte der Kommissionsvorschlag durchkommen, würde es kaum erstaunen, wenn in Basel und Zug das Verständnis für die interkantonale Solidarität bröckeln würde. Würden beide Kantone den ordentlichen Steuersatz erhöhen, um sich dem leistungsfeindlichen Umverteilungsmechanismus der Ergänzungssteuer zu entziehen, stände der Bund mit leeren Taschen da.

Wenig Glauben sollte man auch dem Argument schenken, die mehrfache Umleitung der Erträge sei notwendig, um die Akzeptanz der Vorlage bei der Bevölkerung zu erhöhen. In erster Linie müssten sich die dem Steuerwettbewerb ablehnend gegenüberstehenden Kräfte erklären, sollten sie die OECD-Umsetzungsvorlage ablehnen. Folglich gibt es keinen Grund, auf die Forderung nach noch mehr kurzsichtiger Umverteilung einzugehen. Doch diese wird billigend in Kauf genommen, um sich die eigenen Ausgabenwünsche zu erfüllen. Besorgniserregend daran ist, dass die Befriedigung finanzpolitischer Gelüste bis weit in die Mitte hinein salonfähig zu werden droht. Darin spiegeln sich eine weitere Abnahme des Verständnisses für kantonale Unterschiede und weitere Forderungen nach zentralstaatlicher Korrektur derselben. Das Potenzial des Föderalismus wird dadurch geschmälert.

Die Leichtigkeit, mit der die WAK-N diese Woche das etablierte Umverteilungsmodell zwischen Bund und Kantonen in Schieflage gebracht hat, ist befremdlich. Immerhin fiel der Entscheid in der Kommission mit 13 zu 12 Stimmen sehr knapp aus. Die Chancen sind also intakt, dass die staatspolitische Bruchlandung im Plenum abgewendet werden kann.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in der Avenir-Suisse-Analyse: «Schöne neue Steuerwelt» sowie in den Blogs «Ungewisser Ausgang der OECD-Steuerreform» und «Wann der Bundesanteil zur Hypothek wird».